Schwangerschaft und Stillzeit
Die auffälligste Veränderung ist die Zunahme der Schilddrüsengröße, ein Phänomen, welches gut bei 60% aller Schwangeren zu finden ist.
Drei Mechanismen führen dazu:
1. Während der Schwangerschaft steigen bestimmte Hormone auf sehr hohe Werte an, z.B. Östrogen und das Schwangerschaftshormon HCG. Dadurch kommt es zu einer vermehrten Eiweißbildung in der Leber. Auch der Eiweißstoff, welcher Schilddrüsenhormon im Blut bindet, das sogenannte Thyroxin bindende Globulin - ein Transportprotein, steigt an, damit steigt auch die Menge eiweißgebundenes Hormon, entsprechend fällt der freie Anteil im Blut. Folge dieses Vorgangs: Das übergeordnete Regulationshormon TSH (Thyreoidea stimulierendes Hormon) steigt leicht an und stimuliert das Wachstum der Schilddrüse während der Schwangerschaft.
2. Östrogene bewirken eine Sensibilisierung der Schilddrüsenzellen gegenüber dem TSH, so dass der Wachstumsstimulierende Reiz des TSH verstärkt wird.
3. Ein weiterer Faktor, der die Vergrößerung der Schilddrüse bewirkt, ist der Jodverlust der Schwangeren über die Plazenta an das Kind. Ab der 10. SSW produziert die kindliche Schilddrüse eigenes Hormon; dazu braucht sie Jod, das sie dem mütterlichen Organismus entzieht.
Dadurch sinkt die Jodkonzentration der Schwangeren deutlich ab. Die geringere Jodkonzentration bewirkt in der Mutter-Schilddrüse eine Steigerung lokaler Wachstumsfaktoren, die ebenfalls das Wachstum fördern.
Vorbeugen einer Schilddrüsenvergrößerung (Strumaentstehung) während der Schwangerschaft:
Jede Schwangere (Ausnahme: Schwangere mit nachgewiesener Überfunktion oder Bereitschaft zur Überfunktion) sollte täglich 200 µg Jodid während der gesamten Schwangerschaft und der Stillperiode zuführen.
Eine Unterfunktion während der Schwangerschaft muss umbedingt behandelt werden, da eine unbehandelte Unterfunktion zu Komplikationen in der Schwangerschaft (z.B. Fehl- oder Frühgeburt) führt.
Die Zufuhr von Schilddrüsenhormonen in den mütterlichen Organismus ist für das Kind bedeutungslos, da die Schilddrüsenhormone die Plazenta nicht passieren.
Eine Überfunktion während der Schwangerschaft muss unbedingt behandelt werden, mit Schilddrüsenblockern (Thyreostatika), da es sonst zu schwerwiegenden Komplikationen bis hin zu Früh- oder Totgeburten und Missbildungen führen kann.
Mütterliche Antikörper können in den kindlichen Kreislauf wenn die Mutter während der Schwangerschaft an einer Basedow-Überfunktion litt.
Die für die Basedow-Krankheit typischen, stimulierenden Antikörper (TSH-Rezeptor-Antikörper, "Basedow-Antikörper") können während der Schwangerschaft in den kindlichen Kreislauf übertreten und die kindliche Schilddrüse zu einer Überfunktion stimulieren.
Da diese Antikörper eine längere Lebensdauer haben, besteht die Überfunktion bei den Neugeborenen noch einige Wochen fort. Bei schwerem Verlauf müssen die Neugeborenen dann mit Schilddrüsenblockern behandelt werden.
Kontrolluntersuchungen in der Schwangerschaft
Bei bekannter Vergrößerung der Schilddrüse und/oder bekannter Knotenbildung sollte einmal in jedem Schwangerschaftsdrittel eine Ultraschalluntersuchung sowie eine Überprüfung der Laborwerte durchgeführt werden.
Bei bekannter und behandelter Über- oder Unterfunktion sind kurzfristige Laboruntersuchungen notwendig, bei Überfunktion alle zwei Wochen, bei Unterfunktion, die stabil eingestellt ist, alle vier Wochen.
Nach der Entbindung
Bei einer angeborene Unterfunktion ist diese über sofort mit Schilddrüsenhormonen ausgeglichen und behoben wird.
Ursachen für die angeborene Unterfunktion sind zumeist die fehlende Schilddrüsenanlage, seltener sind Enzymdefekte, die zu mangelhafter oder fehlender Bildung von Hormon führen.
Neugeborene und Jod
In der Stillzeit bekommt der Säugling ausreichend Jod über die Mutter (wenn diese Jodtabletten einnimmt). Die ersten zwei Jahre ist für die Jodzufuhr durch die Babynahrung gesorgt, in allen gängigen Produkten ist ausreichend Jod vorhanden. Etwa ab dem zweiten bis dritten Lebensjahr, wenn das Kind keine Babynahrung mehr bekommt, sollte folgendermaßen vorgegangen werden:
Wenn in der Familie Schilddrüsenvergrößerungen und oder -knoten bekannt sind, sollten Kinder bis 10 Jahre täglich 100 µg Jod erhalten, Kinder ab 10 Jahre 200 µg.
In Familien, in denen Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse bekannt sind, sollte auch bei Kleinkindern durchaus ein Bluttest durchgeführt werden, um mögliche Antikörper zu entdecken, dies gilt insbesondere für Mädchen. Sind bei Kindern Antikörper nachgewiesen worden, sollte auf die Prophylaxe mit Jod verzichtet werden. Bei einer nachgewiesenen beginnenden Unterfunktion oder sogar bestehenden Unterfunktion bei Kindern muss selbstverständlich sofort mit Schilddrüsenhormon behandelt werden.
Jod gerade in der Schwangerschaft
Jod ist lebensnotwendig für die biologische Aktivität der Schilddrüsenhormone. Diese steuern viele Stoffwechselvorgänge im Organismus sowie die Entwicklung des Knochen- und Nervensystems.
Schwangere brauchen aus mehreren Gründen mehr Jod. Zunächst steigt der mütterliche Grundumsatz, also der Energieverbrauch für die Lebensvorgänge der Zellen und für alle vegetativ (unbewusst und vom Willen weitgehend unabhängig) gesteuerten Vorgänge wie Herztätigkeit und Verdauung. Außerdem erhöht sich die Ausscheidung von nicht in die Schilddrüse aufgenommenem Jod über die Nieren. Im Laufe der Schwangerschaft vergrößert sich überdies der Jod-Verteilungsraum, da Zellmasse und östrogenbedingt Bindungsproteine zunehmen. Hierbei handelt es sich um Eiweißstoffe, die Schilddrüsenhormone an sich binden und damit unwirksam machen können. Die Östrogen-Konzentration im Blut ist während der Schwangerschaft viel höher als bei einer nicht-schwangeren Frau.
Der Fötus deckt seinen Jodbedarf über die Mutter. Ab der zehnten bis zwölften Schwangerschaftswoche bildet die Schilddrüse des heranwachsenden Kindes eigene Hormon, es benötig aber ungefähr 50 µg Jod pro Tag.
Die mütterlichen Schilddrüsenhormone gelangen im Gegensatz zum Jod nur zu geringen Teilen durch den Mutterkuchen (Plazenta) in den Kreislauf des Fötus.
Übrigens ist der Jodbedarf der Mutter auch während der Stillperiode erhöht. Solange der Säugling gestillt wird, ist er direkt von der Jodversorgung der Mutter abhängig.
Etwa 20% des zugeführten Jods können so mit der Muttermilch zum Säugling gelangen.
Folgen eines Jodmangel während der Schwangerschaft
Jodmangel ist nach Eisenmangel das häufigste nahrungsbedingte Defizit in der Schwangerschaft. Bei einem Jodmangel ist die Schilddrüse oftmals nicht in der Lage, den zusätzlichen Bedarf an Schilddrüsenhormonen mit dem vorhandenen Jodangebot zu decken. Die Folge ist ein Kropf (Struma), sowohl bei der Schwangeren als auch beim Feten. Über 90% aller Strumen sind jodmangelbedingt.
Mindestens ein Viertel aller Frauen geht mit einem Kropf in die Schwangerschaft. Man geht davon aus, dass am Ende des letzten Schwangerschafts-Drittels sogar 60% der Schwangeren in Deutschland eine Schilddrüsenvergrößerung aufweisen. Etwa 1% aller Neugeborenen haben einen Kropf durch zu geringe Jodzufuhr der Mutter während der Schwangerschaft.
Die Entwicklung einer Schilddrüsenunterfunktion beim Säugling aufgrund eines Jodmangels (Kretinismus) kommt heute in Mitteleuropa nicht mehr vor, da Untersuchungen beim Kind direkt nach der Geburt erfolgen. Bei einer angeborenen Unterfunktion, die nicht erkannt und nicht behandelt wird, sind Wachstum, Knochenreifung und Gehirnentwicklung des Kindes auf das Schwerste beeinträchtigt.
Wie sieht die Therapie bei einem Kropf aus?
Besteht bei einer Schwangeren ein Kropf, sollte der Arzt durch eine Untersuchung eine Über- oder eine Unterfunktion der Schilddrüse ausschließen. Wenn kein Hormonmangel vorliegt, wird eine Therapie mit 200-300 µg Jodid täglich empfohlen. Alternativ kann eine Kombinationstherapie mit der gleichen Menge Jodid und zusätzlich Schilddrüsenhormon (z.B. 50-75 µg täglich) erfolgen.